Strategien in China – Kunst oder Täuschung?

by Harald Pia

Strategie hängt eng mit Taktik zusammen, distanziert sich aber in der westlichen Welt von List und Täuschung. Gegensätzlich hierzu steht das Denken in China, die List und Täuschung nicht nur in ihr taktisches Verhalten implementieren sondern bewundern und pflegen. Die bekannte Sammlung von 36 Strategemen, die dem chinesischen General Tan Daoji (gest. 436) zugeschrieben werden, gehört in China zur allgemeinen Kunst des Wissens, um in komplexen Situationen überraschende Lösungen zu finden.

Jedes Strategem bedeutet eine List, einen Trick oder einen manipulativen Kunstgriff, der ursprünglich militärisch konzipiert, auf das aktuelle politische, betriebswirtschaftliche oder private Leben adaptiert wird. Der Erfolg von Strategemen liegt nicht nur im Wissen um das Vorhaben und Vorgehen, sondern auch im Einsatz eines List, eines Tricks, eines überraschenden Moments oder einer entscheidenden Idee, damit die eigene Strategie letztendlich erfolgreicher ist als die der Konkurrenz.

Die 36 Strategeme des chinesischen General Tan Daoji (†436 n.Chr.)

  1. Den Kaiser täuschen und das Meer überqueren
    Der Kaiser soll gegen seinen Willen dazu gebracht werden, das Meer zu überqueren, indem man ihn in ein Haus am Meer einlädt, das in Wirklichkeit ein Schiff ist.
  2. Wei belagern um Zhao zu retten 
    Angriff auf ein wichtiges bzw. empfindliches Ziel des Gegners, um von dem eigenen Ziel abzulenken.
  3. Mit dem Messer eines anderen töten
    Einen Gleichgesinnten dazu motivieren, eine schwierige Aufgabe zu erledigen.
  4. Ausgeruht den erschöpften Feind erwarten
    Im Jahr 342 v. Chr. Trat Sun Bin vor der Übermacht des Feindes einen Scheinrückzug an, dabei hinterließ er anfangs 100.000, dann 50.000 und am Ende nur noch 30.000 Feuerstelle. Die Verfolger glaubten nun, viele Soldaten seien desertiert und machten sich mit einer leicht ausgerüsteten Truppe auf die Verfolgungsjagd. Sun Bin wartete in einem Hinterhalt und vernichtete die feindlichen Truppen.
  5. Ein Feuer für einen Raub ausnützen
    Chaos erzeugen und für den Angriff ausnutzen.
  6. Im Osten lärmen, im Westen angreifen
    Durch einen Scheinangriff wird der Feind dazu gebracht, dort seine Truppen zu verstärken und an der Stelle die Ressourcen abzuziehen, wo der tatsächliche Angriff stattfindet.
  7. Etwas aus dem  Nichts erzeugen
    Das Vorgaukeln eines Trugbildes für einen Vorteilsgewinn oder Gesinnungswandel nutzen.
  8. Heimlich nach Chencang marschieren
    Liu Bang der Begründer der Han-Dynastie, ließ einen verbrannten Holzweg durch die Berge mühsam instandsetzen, was seine Gegner die Sicherheit vermittelte, dass die Arbeit noch eine längere Zeit in Anspruch nähme. Tatsächlich nahm Liu Bang einen anderen Weg und schlug den überraschten Feind.
  9. Das Feuer am gegenüberliegenden Ufer beobachten
    Eigene Aktionen unterlassen, bis sich die Lage zum eigenen Vorteil entwickelt hat, dabei jede Aktion des Gegners unterbinden, die ihm einen Vorteil bringt.
  10. Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen
    Den Feind durch Freundlichkeit in Sicherheit wiegen, um ihn im Moment der Schwäche anzugreifen.
  11. Der Pflaumenbaum verdorrt anstelle des Pfirsichbaums
    Ein kleines Opfer bringen um etwas Wertvolles zu retten
  12. Mit leichter Hand das Schaf wegführen
    Die Gelegenheit beim Schopf packen.
  13. Auf das Gras schlagen, um die Schlange aufzuscheuchen
    Den Gegner aus der Reserve locken um seine Stärke zu prüfen.
  14. Für die Rückkehr der Seele einen Leichnam ausleihen
    Etwas Gefürchtetes, Geliebtes, Traditionelles zwecks Einschüchterung bzw. Ermutigung wieder aufleben lassen.
  15. Den Tiger vom Berg in die Ebene locken
    Den Tiger aus dem vertrauten Terrain weglocken um ihn leichter zu erlegen
  16. Will man etwas fangen, muss man es zunächst loslassen
    Unterwanderung der gegnerischen Truppen durch freigelassene Kriegsgefangene, die man zuvor freundlich behandelt hat.
  17. Einen Backstein hinwerfen, um Jade zu erlangen
    Etwas Kleineres opfern, den Gegner dadurch auf eine falsche Fährte führen, und sich dann im Rücken des Feindes des Großen zu bemächtigen.
  18. Den Gegner durch Gefangennahme des Anführers unschädlich machen
    Gelingt es, den feindlichen Kommandanten gefangen zu nehmen, so sinkt die Moral des Feindes und die Schlacht ist entschieden.
  19. Das Brennholz heimlich unter dem Kessel wegnehmen
    Dem Gegner die Ressourcen oder dem Krieg den Grund zu entziehen, um ihn vorzeitig zu beenden oder gar zu vermeiden.
  20. Das Wasser trüben, um die Fische zu ergreifen
    Dem Gegner die Übersicht nehmen, um ihn im blinden Zustand leichter zu überwältigen.
  21. Die Zikade wirft ihre goldglänzende Haut ab
    Alle falschen zu strategischen Zwecken ersonnenen Äußerlichkeiten hinter sich lassen. Die unterirdisch lebende Larve der Zikade besitzt eine goldglänzende Hülle. Für das oberirdisch lebende erwachsende Tier ist diese Hülle zu gefährlich, sie streift sie ab und tarnt sich.
  22.  Die Tür schließen um den Dieb zu fangen
    Den Feind ins Leere laufen lassen, um ihn dann einkesseln zu können. Dem Gegner jeden möglichen Fluchtweg abschneiden.
  23. Sich mit dem fernen Feind verbünden um Nachbarn anzugreifen
    Eine Armee die sich von mehreren Feinden bedroht wird, geht eine Allianz mit einem fernen Feind ein, um den nahen Feind einzukreisen.
  24.  Einen Weg für einen Angriff gegen Guo ausleihen
    Im Jahre 658 v. Chr. erbat der Staat Jin vom Staat Yu das Recht zum Durchmarsch, um den Staat Guo anzugreifen. Nach zwei Feldzügen gegen Guo nahm der Staat Jin auch noch den Staat Yu ein, in dem sich seine Soldaten ohnehin schon befanden.
  25. Die Balken stehlen und gegen morsche Stützen austauschen
    Ohne Veränderung der Fassade eines Hauses die Tragbalken stehlen und die Stützpfosten austauschen. Den Feind von innen bekämpfen.
  26. Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeerbaum zeigen
    Die Akazie war der Lieblingsbaum der Kaiser. Der Maulbeerbaum war wichtig für die Seidengewinnung des einfachen Volkes. Kritik gegen höher gestellte Personen wurden indirekt vorgebracht, indem man sich zum gleichen Sachverhalt über andere Personen beschwerte.
  27. Verrücktheit mimen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren
    Der Feldherr lässt sich von seinem Feind als unfähig einschätzen, um Zeit für die Entwicklung einer Gegenstrategie zu gewinnen.
  28. Auf das Dach locken, um dann die Leiter wegzuziehen
    Dem Gegner ein leichtes Ziel bieten, und ihn dann in eine Gegend locken aus der es keine Fluchtmöglichkeiten gibt.
  29. Dürre Bäume mit künstlichen Blüten schmücken
    Die Täuschung des Gegners hinsichtlich der eigenen Stärken durch z.B. Attrappen
  30. Die Rolle des Gastes in die des Gastgebers umkehren
    Die Position des Gegners usurpieren. Nach der erfolgreichen Abwehr eines Angriffs den Gegenangriff einleiten und den Gegner zur Verteidigung in ein Terrain zwingen, das diesem fremd ist.
  31. Die List der schönen Frau
    Mittels Zuwendungen eine hoch gestellte Persönlichkeit beeinflussen
  32. Die List der offenen Stadttore
    Einen Hinterhalt vortäuschen, der die eigene Schwäche verschleiert. Als Zhuge Liang die Stadt Xicheng mit 5.000 Soldaten gegen die 150.000 Mann starke Armee des feindlichen Generals Sima Yi verteidigen musste, ließ er alle vier Stadttore öffnen. Dieser vermutete einen gut geplanten Hinterhalt und zog mit seiner Armee ab.
  33. Die List des Zwietracht säen
    Zwei feindliche Parteien gegeneinander ausspielen, um dann selber den Nutzen aus deren Streit zu ziehen
  34. Die List der Selbstverstümmelung
    Sich selber zu verletzen um eine eigene Schwäche vorzutäuschen oder Mitgefühl zu erregen.
  35. Die Ketten-Strategie
    Zwei oder mehrere Strategeme mit einander verknüpfen.
  36. Weglaufen ist die beste Methode
    Sich ergeben ist eine vollständige Niederlage, ein Vergleich eine halbe Niederlage. Flucht ist keine Niederlage sondern bietet die Chance neu formiert zu gewinnen.